Stories

In dieser Rubrik laden wir Sie zu einer Zeitreise ein! Hier werden spannende Episoden und weniger bekannte Geschichten aus den vergangenen 100 Jahren des Collegium Hungaricum Wien veröffentlicht. Viele dieser „Stories“ haben wir erst im Lauf unserer Recherchen für die Jubiläumsfeierlichkeiten und -veranstaltungen entdeckt.


11. April 2024
Tag der ungarischen Poesie: der Geburtstag von Attila József

Was hat der große ungarische Dichter im Collegium Hungaricum gemacht?

Anlässlich des CH100-Jubiläums starten wir heute, am Tag der ungarischen Poesie, unsere Rubrik "CH100 Stories". Seit 1964 ist dieser Tag - der 11. April - der Tag der ungarischen Poesie, der Geburtstag von Attila József (1905-1937), der herausragenden Persönlichkeit der ungarischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Nur wenige wissen, dass der damals noch sehr junge Dichter im Alter von 20-21 Jahren einige Monate im Collegium Hungaricum Wien wohnte...

Attila Józsefs Meldungsbuch an der Universität Wien (1925)

Attila Józsefs Meldungsbuch an der Universität Wien (1925)

Attila József verbrachte das Studienjahr 1925/26 in Wien. "Seine eigenen Aufzeichnungen und verschiedene Memoiren geben eher widersprüchliche Berichte über sein Leben in Wien. Sie beschreiben mal ein kümmerliches Leben, mal einen relativen Wohlstand. Sicher ist jedoch, dass er in der Kaiserstadt ein für die Entwicklung seiner Poesie und seiner politischen Ideen wichtiges Jahr verbrachte." [1]

Ganz am Ende des Jahres 1925 könnte er mit dem CH in Kontakt gekommen sein. Der damalige (erste) Direktor des Instituts, der Literaturhistoriker Dr. Antal Lábán, empfing ihn auf Empfehlung gemeinsamer Bekannter mit Offenheit und Zuneigung, obwohl sie sich in ihrem politischen Denken sicher nicht nahe standen.

Er nutzte die Klub- und Lesesäle der Studentenvereinigung, und Lábán besorgte ihm sogar kleine Aufträge und Arbeiten. Attila József schrieb in seiner Autobiografie: "Als Antal Lábán, der Direktor, auf mich aufmerksam wurde [...], gab er ein Mittagessen im Collegium Hungaricum und verschaffte mir Kontakt zu Studenten: Ich unterrichtete zwei Söhne von Zoltán Hajdu, dem Vorstandsvorsitzenden der Englisch-Österreichischen Bank." [2]

Aus einem anderen Brief geht hervor, dass der Direktor versuchte, den jungen Dichter auch in die literarische Arbeit einzubeziehen: "Außerdem will mir der Direktor des Collegium Hungaricum auch Arbeit geben, und zwar bei der Redigierung des Lexikons der ungarischen Literaturgeschichte." [3]

Attila Józsefs Gedicht "Páncélvonat" (Gepanzerter Zug), geschrieben in Wien, erschienen in der Wiener Zeitschrift Diogenes (1926) | Quelle: ÖNB ANNO

Attila Józsefs Gedicht "Páncélvonat" (Gepanzerter Zug), geschrieben in Wien, erschienen in der Wiener Zeitschrift Diogenes (1926) | Quelle: ÖNB ANNO

Eine Zeit lang wohnte er sicherlich im „CH, wo er als Gegenleistung für seine Reinigungsarbeiten freie Kost und Unterkunft erhielt. Laut Dezső Keresztury (1904-1996), der mit einem staatlichen Stipendium dorthin kam und später als Schriftsteller, Dichter, Literaturhistoriker und Kulturminister tätig war, vernachlässigte Attila József seine Pflichten, führte aber ernsthafte Diskussionen mit den Studenten." [4]

Aber gibt es in Attila Józsefs dichterischem Werk irgendeine Spur von den Monaten, die er im CH verbrachte? Der Literaturgeschichte zufolge schildert er in seinem Gedicht "Der Pilot" ein Erlebnis, das er beim Putzen hatte. Dabei vergleicht er seine Situation mit einem gewissen Sarkasmus mit der Arbeit eines Flugzeugpiloten. Hier ein Auszug aus dem Gedicht, geschrieben Ende 1925:

"Szép szál legény vagy, egy röpüléssel
Magosabb vagy a magos madárnál.
Csinos mesterség a tiéd, de az az enyém is.
Szijjas nyergedben hátradülsz, nézed, hogy a föld elfordul kelet felé,
Én meg hosszu seprűvel takarítom az egyesület poros termeit,
Tagok se nyitják ilyenkor erős lökéssel sarkig az ajtót,
Tárva áll az, a nap arany deszkákat nyujt be rajta.
Papir is akad, hát lehajolok, derekamra dől a seprünyél,
Ugy bámészkodik fölfelé és verset is írok,
Azt se magamról, olyan egyszerü az életem." [5]

PILOT

Pilóta


Du bist ein prächtig-stämmiger Kerl, bist um einen Flug
Höher als die hohen Vögel.
Dein Beruf ist hübsch, doch meiner ist es auch.
Du lehnst dich zurück in deinem zähen Sattel und siehst, wie sich die Erde
nach Osten dreht,
Während ich mit langem Besen die staubigen Säle des Vereins reinige –
Zu solchen Zeiten öffnen nicht einmal Mitglieder mit starkem Stoß bis zur
Angel die Tür,
Sie steht weit offen, und die Sonne reicht da goldene Bretter herein.
Papiere finden sich auch da, ich bück mich also nieder, der Besenstiel fällt
gegen meine Hüfte zu,
So stiert er nach oben und ich schreibe auch Gedichte,
Doch nicht über mich, so schlicht ist mein Leben.
Fliege nur, fliege getrost, ich bewache dich, der Polizist hebt auch seinen
gestrengen Kopf –
An den beiden Rändern seiner spitzen Kappe beben schlanke Masten zweier
Türme –
Mit gestrecktem Hals rennen die Pferde, die Milchkannen stoßen sich leicht,
Es schimmert in fünf Fingern der hinaufgereichte Apfel.
Du fliegst fort,
Die Wolken zerknittern sich, wie deine Daunendecke,
Allmählich alterst du auch, doch durch deinen langen Bart schimmert der
Sonnenschein hindurch
Und über deiner Stirn beult sich der Himmel
Ein und schwillt dann wieder an
Vom Duft junger Mädchen."


Ende 1925


Übertragen von Csaba Báthori

[1] Ujváry, Gábor: Kulturális hídfőállások. A külföldi intézetek, tanszékek és lektorátusok szerepe a magyar kulturális külpolitika történetében. II. kötet: Bécs és a magyar kulturális külpolitika. Ráció, 2017. S.33.

[2] Zitiert aus der Studie: József Attila Bécsben. In: Irodalomtörténeti közlemények. LXVII. évfolyam, 6. szám. Akadémiai kiadó, 1963. S. 668.

[3] Brief von Attila József. Osiris, 2006. S. 112 (Brief Nr. 126, an József Jolán).

[4] Ujváry, Gábor: Kulturális hídfőállások. A külföldi intézetek, tanszékek és lektorátusok szerepe a magyar kulturális külpolitika történetében. II. kötet: Bécs és a magyar kulturális külpolitika. Ráció, 2017. S.33.

[5] Online verfügbar unter Arcanum Verstár: https://www.arcanum.com/hu/online-kiadvanyok/Verstar-verstar-otven-kolto-osszes-verse-2/jozsef-attila-1EE20/versek-1EE25/1925-1F463/pilota-1F53B/