Franz Fühmann zum 100. Geburtstag

Datum: 15 Januar
Ort: online
(c) Archivfoto CHB: Franz Fühmann (links) nach Lesung im Haus der ungarischen Kultur, Berlin

(c) Archivfoto CHB: Franz Fühmann (links) nach Lesung im Haus der ungarischen Kultur, Berlin

Franz Fühmann zum 100. Geburtstag

„… die Übersetzung eines Gedichts ist ja nicht eine Sache zweier, sie ist eine Sache dreier Sprachen: der gebenden, der empfangenden und der Universalsprache der Poesie. Ein ungarisches Gedicht ist ja nicht einfach ›ungarisch‹, es ist ungarisch und es ist ein Gedicht, und wenn das Ungarische ins Deutsche übersetzt ist, steht die zweite Übersetzung, die innerhalb des Deutschen noch aus […].“[1]

Franz Fühmann, am 15. Januar 1922 in Rochlitz/Riesengebirge geboren, war nicht nur ein bedeutender Schriftsteller der DDR, der neben Erzählungen, Essays, Novellen, Gedichten zahlreiche Kinderbücher verfasste. Fühmann übertrug auch Lyrik aus dem Ungarischen und machte sich einen Namen als Nachdichter. Ihm und Paul Kárpáti, mit dessen Hilfe er anhand von Interlinearübersetzungen ungarische Gedichte u.a. von Endre Ady, Attila József, Ágnes Nemes Nagy sowie Miklós Radnóti und Milán Füst ins Deutsche „über-setzte", verdankt die ungarische Poesie nicht zuletzt eine breite Rezeption zu DDR-Zeiten.

Aus Anlass seines 100. Geburtstags widmet das CHB dem Autor und Dichter im Laufe des Jahres eine Veranstaltungsreihe. György Dalos betont in seinem Beitrag „Heimisch in der dritten Sprache. Franz Fühmann und die ungarische Lyrik“ (2004), die Bedeutung von Nachdichtungen, die im Zuge des Lossagens von der eigenen Dichtung, verstanden als Absage an den "Parteidichter", zu einer Ersatzrolle für Fühmann wurden, "als versuchte er, seinem lyrischen Ich in fremden Gedichten eine neue Heimat zu geben".

„Mit poetischer Genauigkeit durchforschte er die politischen Prägungen, denen er ausgesetzt war, und erkämpfte sich damit seinen Weg zu einer unideologischen Denkhaltung“, so der Hirnstorff Verlag anlässlich der zum 100. Geburtstag von Franz Fühmann neu aufgelegten Biographie von Uwe Wittstock mit dem Titel „Wandlung ohne Ende“.

Als Ausdruck der Auseinandersetzung mit seinen politischen Prägungen gilt auch Fühmanns Essaytagebuch „Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens“, das 1973 erschien. Darin versucht Fühmann Bilanz zu ziehen, seine Geschichte, seinen Standort, seine Möglichkeiten neu zu überdenken. Zuvor war er zum - mindestens - fünften Mal in Ungarn, ein Bändchen mit bunten Reiseerzählungen war geplant. Das Vorhaben aber entwickelt sich innerhalb kurzer Zeit zu einem Hauptwerk des Schriftstellers. „Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens“, ist ein Reisebericht über Ungarn, seine Hauptstadt, über die Geschichte, Sprache und Kultur des Landes, und es ist eine ebenso mutige wie subtile Reflexion, die zu den literarisch tiefgründigsten Auseinandersetzungen mit der DDR zählt.

[1] Franz Fühmann: Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens. Rostock Hinstorff, 1973, S. 143.

Weiterführende Literatur:

Györg Dalos: Heimisch in der dritten Sprache. Franz Fühmann und die ungarische Lyrik. In: Krätzer, Jürgen (Hg.): Franz Fühmann. Text + Kritik; 202/203. München: Ed. Text + Kritik im Richard-Boorberg-Verlag, 2014, S. 81-90.

Franz Fühmann: Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens. Rostock: Honstorff Verlag, 1973.

Franz Fühmann: Briefe aus der Werkstatt des Nachdichters. Műfordítói műhelylevelek. 1961-1984. Mitgeteilt vom Adressaten Paul Kárpáti. Közzéteszi a levelek címzettje Kárpáti Paul. Budapest: Argumentum Kiadó; Leipzig: Engelsdorfer Verl., 2007.

Gábor Hajnal: Ein Freund der Ungarn und ihrer Poesie, in: Simon, Horst (Hg.): Zwischen Erzählen und Schweigen. Ein Buch des Erinnerns und Gedenkens. Franz Fühmann zum 65., Rostock 1987, S. 107-110.

Stephan Krause: Der aufgespannte Widerspruch. Franz Fühmanns nachdichterische Spurensuche bei Attila József, in: Jahrbuch der ungarischen Germanistik 2004, S. 133-149.