Dorotheenstraße 12, 10117 Berlin
Die Performance Sándor Tar sein (2022) ist angelehnt an formale Elemente einer Probeaufnahme bei einem SchauspielerInnen-Casting. Als Ausgangspunkt hierfür dient Sándor Tars Gedicht Die blonde Stadt (1969). Während der Performance, die teils auf präzisen choreografischen Instruktionen beruht, zugleich aber auch der individuellen Improvisation genügend Spielraum lässt, werden Ausschnitte aus dem Gedicht in rhythmischer Prosa und als Gesang vorgetragen, wobei die KandidatInnen versuchen, die Gedanken des Autors auf abstrakte Weise zu vermitteln.
Das Casting, das keiner Alters- und Geschlechtsbeschränkung unterliegt, ist in Wirklichkeit ziellos, bzw. findet sein Ziel in sich selbst: es dient keinerlei Filmproduktion, und es wird auch niemand ausgewählt, für die Zeit der Performance jedoch werden alle KanditatInnen ein wenig zu "Sándor Tar".
Sándor Tar (1941–2005) war ein ungarischer Schriftsteller, er arbeitete von 1967 bis 1970 in Dresden als Gastarbeiter und war ebendort 1975/76 Heimerzieher. Über seine Erlebnisse und Erfahrungen unter den Lebensbedingungen in dem Dresdner Arbeiterwohnheim schrieb er die soziographische Arbeit Tájékoztató [Informationen], die 2017 vom Déri-Museum in Debrecen, in der Heimatstadt von Tar, herausgegeben wurde. Dieser Band enthält auch das 22 maschinengeschriebene Seiten lange Gedicht Szőke város [Blonde Stadt], in dem durch die Darstellung der Liebe zu einer deutschen Frau ein persönliches Bild der Gesellschaft und Geschichte entsteht.
Hajnal Németh (*1972 Szőny in Ungarn) lebt und arbeitet in Berlin. Sie arbeitet an den Schnittstellen von bildender Kunst und Musik, ihr interdisziplinäres Schaffen umfasst Performances, Rauminstallationen und Bewegtbildformate. Ihr experimenteller Umgang mit Zeit, Rhythmus, Intonation sowie ihr spielerisches Hinterfragen von Bedeutungsstrukturen manifestieren sich oft in minimalistischen Eingriffen in das vorhandene Material. In ihrer fortdauernden Zusammenarbeit mit Sänger*innen, Chören und Schauspieler*innen zeigt sie, wie Zusammenhänge arbiträr konstruiert und wieder seziert werden können.
Némeths Arbeiten wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in renommierten Kunstinstitutionen präsentiert, u. a.: The Jewish Historical Museum, Amsterdam (Solo, 2017); Ludwig Museum, Budapest (2017; 2016; 2003); Kunstmuseum Stuttgart (2017); Palais de Tokyo, Paris (2012, 2014); Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (2009); Gropius Bau, Berlin (2005); Tate Modern, London (2004). 2011 präsentierte Németh ihr Werk in einer Einzelausstellung im Ungarischen Pavillon auf der Biennale Venedig. 2019 gründete sie den Berliner Projektraum Yellow Solo für zeit- und prozessbasierte Formate, die sich mit musikalischen Systemen und Bezügen auseinandersetzen.
Die Performance wird von BerlinVokal aufgeführt.
BerlinVokal: "Wenn wir detailversessen proben, uns um der musikalischen Sache willen fetzen, choreografieren, improvisieren, an allen Ecken und Kanten feilen, fügt sich irgendwann ein Puzzle zusammen. Oft sind es nur Kleinigkeiten und Nuancen, die den Unterschied ausmachen, im Chorklang aber eine große Wirkung entfalten. So hat sich über die Jahre ein gemeinsamer Chor-Spirit entwickelt, der auf der Bühne spürbar wird!"