Entlegenes Terrain

Datum: 29 April
Zeitpunkt: 17:00
Ort:  Collegium Hungaricum Berlin
Dorotheenstraße 12, 10117 Berlin
Foto: Fortepan, Frigyes Schoch

Foto: Fortepan, Frigyes Schoch

Das Schreiben über Orte bildet sowohl in Esther Kinskys literarischem Werk als auch bei Noémi Kiss – auf je unterschiedliche Weise – einen besonderen Schwerpunkt.
In Lesung und Gespräch mit den Autorinnen geht es um Sehnsuchtsorte, Erinnerungslandschaften, Poetiken der kulturellen und geographischen Vielfalt sowie um naturkundliche und zeitgeschichtliche Streifzüge durch (ost-)europäische Landstriche.

Moderation: Katharina Teutsch
Partner: Suhrkamp Verlag, Europa Verlag, Petőfi Literaturfonds (PIÜ)

Anfang der 2000er Jahre führte das Grenzgängerstipendium der Robert Bosch Stiftung die inzwischen mehrfach preisgekrönte Übersetzerin und Schriftstellerin Esther Kinsky in die Grenzgebiete von Ungarn, Rumänien und Serbien. Nach diesen Recherchereisen entstanden die Romane „Sommerfrische“ (2009) und „Banatsko“ (2011) sowie der Lyrikband „die ungerührte schrift des jahrs“ (2010). Die poetologische Beschäftigung mit Landschaften und Natur prägen seither das literarische Werk Esther Kinskys [siehe: „Naturschutzgebiet“ (2013), „Am Fluss“, 2014, „Hain: Geländeroman“, 2018 und „Schiefern“ (2020)]. Ihr neuer Roman „Rombo“ (Suhrkamp, 2022), „der in beeindruckender Weise eine Erinnerungspoetik des Gesteins und der Landschaft entfaltet“, so die Jury des W.-G.-Seebald Literaturpreises 2021, ist die Geschichte eines Erdbebens, das nicht nur die Landschaft im nordöstlichen Italien umkrempelt, sondern auch in den Biografien der Menschen tiefe Spuren hinterlässt. Über sieben Lebensgeschichten, die eng verknüpft sind mit Landschafts- und Naturbeschreibungen, entsteht ein „Gedächtnis der Zerstörung“ und ein herausragendes literarisches Kunstwerk.“ Kinsky spürt in „Rombo“ den Bruchlinien dieser Katastrophe nach, sowohl in den Biografien der betroffenen Menschen als auch in der Kultur- und Naturlandschaft.

Galizien und die Bukowina, die ehemaligen Ränder des Habsburgerreiches, aber auch Siebenbürgen in Rumänien und die Vojvodina in Serbien waren stete Reiseziele der ungarischen Schriftstellerin Noémi Kiss. Basierend auf den Eindrücken, die die Autorin während ihrer Reise durch die südosteuropäischen Länder sammelte, entstanden der Essayband „Schäbiges Schmuckkästchen“ (Europa Verlag, 2015), in dem Noémi Kiss faszinierende Streifzüge in die Ambivalenz des Ostens Europas unternimmt: dichte, lyrische Einblicke in die Zerbrechlichkeit stehen gebliebener Zeiten und den Einbruch der Moderne. Mit ihrem jüngsten Erzählband „Balaton“ (Europa Verlag, 2020) legte Noémi Kiss schließlich ein einzigartiges Stimmungsbild eines Sehnsuchtsorts vor, eines beliebten deutsch-deutschen Urlaubsziels, an dem Weltgeschichte geschrieben wurde. Der Balaton ist ein Ort der gelebten Wiedervereinigung, lange bevor am 11. September 1989 Ungarn seine West-Grenzen für DDR-Bürger öffnet und kurz darauf die Mauer fällt. In ihren Novellen fängt Noémi Kiss die besondere Stimmung dieser Zeit vor dem totalen Umbruch ein, lässt ihre angespannte, abwartende Stille geradezu greifbar werden.

Esther Kinsky wurde 1956 in Engelskirchen geboren. Sie studierte Slawistik, lebte lange Jahre in London, zwischenzeitlich waren neben Berlin auch Budapest und Battonya (Ungarn) ihr Zuhause. Heute lebt sie in Wien und im Friaul. Seit Mitte der achtziger Jahre ist sie literarische Übersetzerin aus dem Polnischen, Russischen und Englischen, gleichzeitig ist ein originäres Werk in Prosa, Lyrik und Essay entstanden, für das sie mit zahlreichen namhaften Preisen ausgezeichnet wurde.

Noémi Kiss,
geboren 1974 in Gödöllő in der Nähe von Budapest, ist Autorin, Kritikerin und Essayistin. Sie studierte Hungarologie, Komparatistik und Soziologie an der Universität Miskolc, wo sie seit 2000 als Dozentin in Komparatistik arbeitet. 2003 promovierte sie mit einer Arbeit über Paul Celan und verbrachte im Rahmen ihrer Promotionsarbeit auch zwei Jahre an der Universität Konstanz. Ihre Werke wurden ins Deutsche, Englische, Schwedische, Bulgarische und Serbische übersetzt. Zuletzt erschien von ihr Balaton (Novellen, Europa Verlag 2021). Sie lebt in Budapest und ist Mutter von Zwillingen.