BBS1 – Öffentlich und privat

Datum: 30 April - 1 Mai
Zeitpunkt: 17:00
Ort:  CHB
online

Staatssozialistisch gesicherter Freiraum für Filmkunst

Das Studio Béla Balázs – ein kulturpolitisches Experiment der Volksrepublik Ungarn mit unerwarteten Nebenwirkungen

Twelfth Night (1967) Sándor Sára © Studio Balázs Béla, Ungarisches Nationales Filminstitut

Twelfth Night (1967) Sándor Sára © Studio Balázs Béla, Ungarisches Nationales Filminstitut

Das Collegium Hungaricum Berlin (CHB) widmet dem Filmstudio Béla Balázs, einer im Staatsozialismus künstlerische Freiräume schaffenden Filmwerkstatt, eine vierteilige Filmreihe. Zum Auftakt werden emblematische kurze Dokumentarfilme aus den 1960-ern bis Mitte der 1970-er Jahre gezeigt, die auf unterschiedliche Art und Weise das Spannungsfeld des Öffentlichen und Privaten thematisieren. Linn Löffler, Expertin für ungarischen Film und Programmkoordinatorin von „Berlinale Shorts”, führt in die Veranstaltungsreihe ein.

Im Balázs Béla Stúdió (kurz BBS) begannen neben bedeutenden ungarischen Filmemacher:innen wie Béla Tarr, István Szabó, Gábor Bódy und Ildikó Enyedi auch bildende Künstler:innen ihre Karriere. So entstanden in den 1970-er Jahren im BBS beispielsweise wichtige Frühwerke von Dóra Maurer (geb. 1936), der das Tate Modern 2020 eine umfassende Retrospektive widmete, oder in den 1980-ern die bekanntesten Filme von Miklós Erdély (1928-1986), der heute als „Vater der ungarischen Avantgarde” gilt.

BBS 1 – Öffentlich und privat
30.04.2021, 19:00

Twelfth Night (Vízkereszt, R.: Sándor Sára, 1967, 12 min) OmeUT
Schon an den mit eleganter Ruhe komponierten poetischen Bildern seines wintermärchenhaften frühen Dokumentarfilms „Twelfth Night“ lässt sich die kameramännische Begabung des Regisseurs Sándor Sára (1933-2019) erkennen. Später stand Sára bei zahlreichen Spielfilmen, u.a. von István Szabó, hinter der Kamera.

New Year’s Eve (Szilveszter, R.: Elemér Ragályi, 1974, 15 min) ohne Dialog
Der Film von Elemér Ragályi (geb. 1939), der später ebenfalls als Kameramann erfolgreich wurde, kommt ohne Text aus. Die Bilder des glamourösen medialen Silvesterprogramms treffen auf Gesichter von Menschen auf der Straße im Rausch des Silvesterabends.

The Long Distance Runner (Hosszú futásodra mindig számíthatunk…, R.: Gyula Gazdag, 1968, 13 min) OmeUT
Gyula Gazdag (geb. 1947) greift in seinem Film auf Techniken des Reportagenfilms zurück und enthüllt die Diskrepanz zwischen dem Mythos des auf wundersame Weise geheilten, zum Nationalhelden avancierten Marathonläufer, und der profanen Realität seiner persönlichen Äußerungen.

Black Train (Fekete vonat, R.: Pál Schiffer, 1970, 38 min) OmeUT
Mit diesem Film schrieb Pál Schiffer (1911-2001) Geschichte. Ohne große Vorbereitung begab er sich mit seinem Kameramann und dessen 16mm-Kamera in eine bisher unbekannte filmische Situation: Sie stiegen in den Sonderzug, der für das Wochenende unzählige Arbeiter aus der Hauptstadt in ihre mehrere hundert Kilometer entfernte Heimatorte brachte. Er sprach Männer im Zug sowie Frauen und Kinder in den Dörfern direkt an, befragte sie auf Augenhöhe, und porträtierte dabei die aussichtslose Armut des Landes. Das Ergebnis wurde zu einem der gewichtigsten Stücke des soziografischen Films in den 1970-er Jahren in Ungarn.

Die Anmeldung für das Online-Screening ist ab sofort möglich unter
buero@hungaricum.de. Die Zugangsdaten werden zudem in der Facebook-Gruppe CHB Filmklub online bekannt gegeben. Die Teilnahme ist kostenlos.

Die Forstetzung der BBS-Reihe findet monatlich bis Ende Juli statt.

BBS 2 untersucht anhand von Arbeiten von Gábor Bódy, Dóra Maurer, István Szabó und Zoltán Huszárik die Schnittstelle zwischen bildender Kunst und Film. Zum BBS 3, dem Miklós Erdély gewidmeten Teil der Reihe, ist seine ehemalige Schülerin, die Berlinale-Preisträgerin Ildikó Enyedi zu Gast. BBS 4 präsentiert einen fiktionalen Dokumentarfilm der sog. Budapester Schule, der weibliche Schicksale mehrerer Generationen in den Fokus rückte. Die Regisseurin Judit Ember, deren Lebenswerk etwa 30 Dokumentar- und Spielfilme umfasst, ist u.a. dafür bekannt, dass die öffentliche Vorführung ihrer Filme am häufigsten durch die Zensur verboten wurde.

Die Filmreihe zum Studio Béla Balázs zeigt jüngst digitalisierte Filme aus dem Bestand des Filmarchivs des Ungarischen Filminstituts und kommt mit dessen Unterstützung zustande.

Kuratiert von Virág Bottlik