10117 Berlin, Dorotheenstr. 65, Raum 5.57
Der Band setzt sich mit zwei grundlegenden Prämissen auseinander: Erstens, das Dokumentarische spielt eine wichtige Rolle in zentraleuropäischen Gegenwartsliteraturen, und zweitens, der dokumentarische Gestus gilt als Verstoß gegen die traditionellen wie auch strukturalistisch und semiotisch orienterten Grundsätze der Literatur. Dieser Verstoß zeigt sich als äußerst produktiv im literarischen Feld und in zentraleuropäischen Kulturen.
Wie versteht man den Dokumentarismus in der Gegenwartsliteratur? Welche literarischen Texte verstoßen gegen die literarischen Konventionen? Wie ist der Realitätsbezug in Texten der zentraleuropäischen Gegenwartsliteraturen zu definieren? Wie kann man das transgressive Potenzial des Dokumentarischen erfassen?
Über das Buch unterhalten sich Prof. Dr. Svetlana Efimova (LMU) und Prof. Dr. Christian Voß (HU Berlin) mit den Herausgeber·innen.
Milka Car, Csongor Lőrincz, Danijela Lugarić, Gábor Tamás Molnár (Hg.):
An den Rändern der Literatur. Dokument und Literatur in zentraleuropäischen Kulturen | Tracing the Edges of Literature. Documentary Fiction in Central European Cultures. Böhlau, 2023.
Die Integration der Dokumente wird als eine Geste der Spaltung betrachtet, die das Zusammenspiel der faktischen und fiktionalen Wahrheitsbehauptungen in literarischen Texten hervorhebt (Riffaterre, 1990). Dadurch kommen der dokumentarische Anspruch auf Glaubwürdigkeit und die Literarizität des Textes in Widerspruch. Daher ist die erste Prämisse des Bandes die Auswirkung des dokumentarischen Paktes (Foley, 1986) auf die Bestimmung der Literatur. Die betonte Referenzfunktion der Dokumentarliteratur führt zum ständigen Überschreiten der Grenze zwischen Fakt und Fiktion, wobei sich diese Grenze als instabil erweist und die Realität transfiguriert (A. Danto). Um die unterschiedlichen Ausprägungen des Dokumentarischen zu erfassen, wird eine kommunikativ-funktionale Bestimmung der Literatur vorgeschlagen, die vom dokumentarischen Gestus und der exponierten Text-Kontext-Beziehung ausgeht. Die nächste Prämisse ist, dass das Jahr 1989 – mit dem Fall der Berliner Mauer, dem Zerfall des Ostblocks und dem Ende des Kalten Krieges – als eine weitreichende politische Zäsur angesehen werden kann, die nicht nur das Aufkommen neuer dokumentarischer Verfahren in zentraleuropäischen Literaturen begünstigte, sondern auch die Grenzen des Literarischen und Dokumentarischen neu positioniert.