Imre Kertész: Heimweh nach dem Tod.

Hrsg. von Ingrid Krüger und Pál Kelemen. Aus dem Ungar. von Pál Kelemen. Hamburg: Rowohlt, 22.3.2022.

Hrsg. von Ingrid Krüger und Pál Kelemen. Aus dem Ungar. von Pál Kelemen. Hamburg: Rowohlt, 22.3.2022.

Dreißigjährig, nach Jahren erfolgloser Arbeit an seinem ersten Romanprojekt «Ich, der Henker», den Bekenntnissen eines Naziverbrechers, entschließt Imre Kertész sich zu einer "nüchternen Selbstprüfung". Daraus erwächst zwischen 1958 und 1962 sein erstes Tagebuch – 44 eng beschriebene Blätter. Und während er noch mit Musik-Komödien für die Budapester Bühnen seinen Lebensunterhalt verdient, hält er hier minutiös sein Denken, Lesen und Schreiben fest: vom Entschluss, statt der Henker-Bekenntnisse nun die Geschichte seiner Deportation zu schreiben – also "meine eigene Mythologie" – , bis hin zur Fertigstellung der ersten Kapitel. Dazu die unablässige Auseinandersetzung mit Dostojewski, Thomas Mann und Camus, mit deren Hilfe er die für diesen beispiellosen Entwicklungsroman benötigte Technik findet. "Der Muselmann", so sollte der "Roman eines Schicksallosen" ursprünglich heißen. Zehn weitere Jahre würde Kertész noch zu seiner Vollendung brauchen, um anschließend zu erleben, wie das Buch, das 30 Jahre später mit dem Nobelpreis ausgezeichnet werden würde, im sozialistischen Ungarn zunächst wegen seiner ungewöhnlichen Sicht des Holocaust abgelehnt wurde. Vom Zustand des "Muselmanns", jener "zerstörend süßen Selbstaufgabe", die Imre Kertész in Buchenwald kurz vor der Befreiung noch selbst erfahren hat, erzählen die eindrücklichsten Seiten dieses Arbeitstagebuchs: "Der Mensch kann nie so nahe bei sich selbst und bei Gott sein wie der Muselmann unmittelbar vor dem Tod."

Ein überraschender Fund im Nachlass des 2016 gestorbenen Nobelpreisträgers, der herausgegeben und ins Deutsche übertragen wird von Ingrid Krüger und Pál Kelemen und mit einem Nachwort von Lothar Müller.

Imre Kertész: Heimweh nach dem Tod. Arbeitstagebuch zur Entstehung des „Romans eines Schicksallosen“. Hrsg. von Ingrid Krüger und Pál Kelemen. Aus dem Ungar. von Pál Kelemen. Hamburg: Rowohlt, 22.3.2022. ISBN 978-3-498-00223-7